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Sayyid Qutb, der Begründer des Islamismus

  VORWORT   Das vorliegende Werk von Sayyid Qutb, der zum Märtyrer für den Islam geworden ist, stellt eine allgemeine Charakterisierung des islamischen Glaubens dar. Es beschreibt nicht die bis ins einzelne gehenden Vorschriften des Islam zur Leitung der Menschheit, sondern befasst sich stattdessen mit grundlegenderen Erwägungen.   Zunächst, wie wirkt der islamische Glaube auf die Welt ein? Wenn er göttlichen Ursprungs ist, warum sehen wir dann die islamische Welt in ihrem gegenwärtigen Zustand der Unordnung? Warum ist es notwendig und liegt im Interesse der Menschheit, die Verwirklichung des Islam unter den gegenwärtigen Umständen zu versuchen? Wie wurde er in der Vergangenheit in die Tat umgesetzt, und welche Spuren hat er im Leben der Menschen hinterlassen? Was gibt uns gegenwärtig die Hoffnung, dass sich der Islam erneuern und aktivieren lässt? Diese Fragen werden klar und bündig beantwortet. Zwar wendet sich der Autor an die heutigen Muslime, um sie mit einem klaren Konzept für die Verwirklichung des Islam zur Tat anzuspornen. Doch kann das Buch als Einführung in die Lehre des Islam für Nicht-Muslime und darüber hinaus als Beweis für die Notwendigkeit und Bedeutung des religiösen Glaubens in unserer gegenwärtigen Welt dienen.   AUTOR   Sayyid Qutb wurde1906 in der ägyptischen Provinz Assiut geboren. Obwohl er einer religiösen Familie entstammte galten seine Interessen zunächst mehr der literarischen als der religiösen Arbeit. Nachdem er als B.A. und mit einem Diplom als Erzieher die Universität von Kairo verlassen hatte, trat er im ägyptischen Unterrichtministerium eine Stellung an. Außerdem wurde er in der Gewerkschaftsorganisation tätig. Sein Interesse an den literarischen Aspekten des Qur'an führte ihn in ständig steigendem Umfang näher an den islamischen Glauben selbst heran. Dies fand seinen Niederschlag vor allem in seinem Buch "Soziale Gerechtigkeit im Islam" (herausgegeben 1946). Auf diese Weise gelangte er zur Muslim-Bruderschaft, mit der er fortan alle Wechselfälle des Schicksals teilte.   1953 befand er sich unter jenen Führern der Bruderschaft, die damit beauftragt waren, eine neue Konstitution zu erstellen und später auch Posten im Kabinett zu bekleiden. Als 1954 viele Mitglieder der Bruderschaft unter der Anklage verhaftet wurden, einen Anschlag auf das Leben Gamal Abdel-Nassers geplant zu haben, wurde auch Sayyid Qutb eingekerkert und erst zehn Jahre später wieder freigelassen. Doch schon ein Jahr darauf wurde er wiederum in Verbindung mit einem angeblich neuerlich geplanten Attentat eingesperrt. Die Anschuldigungen richteten sich diesmal hauptsächlich gegen Sayyid Qutbs Buch "Meilensteine". Nach einer absurden Verhandlung gab Sayyid Qutb 1966 in Ägypten sein Leben für den Islam hin.   Der Islam - eine Religion für die Menschheit   Es gibt eine ganz wichtige und dabei einfache Tatsache im Hinblick auf den Islam und die Weise seiner Einwirkung auf das Leben der Menschen, eine Tatsache, die trotz ihrer Einfachheit oft vergessen oder überhaupt nicht erkannt wird. Dadurch, dass man sie vergisst oder nicht erkennt, entsteht bei der Betrachtung dieser Religion ein großer Irrtum sowohl hinsichtlich ihres wesentlichen Gehalts und ihrer geschichtlichen Realität wie auch im Hinblick auf ihre Gegenwart und Zukunft.   Manche erwarten von dieser Religion - weil sie von Gott offenbart wurde -, dass sie in magischer, sonderbarer, unbegreiflicher Weise auf das Leben der Menschen einwirke. Sie meinen, dass sie wirksam werden müsse, ohne jede Rücksicht auf die menschliche Natur, auf die angeborenen Fähigkeiten und die materiellen Wirklichkeit menschlichen Daseins, in welchen verschiedenartigen Entwicklungsstadien und Umwelteinflüssen es sich auch immer abspielt.   Sie sehen jedoch, dass der Islam nicht in dieser Welt in Erscheinung tritt, dass die begrenzten menschlichen Fähigkeiten und die materielle Wirklichkeit irdischer Existenz dem entgegenstehen. Manchmal sind diese beiden Faktoren deutlich durchdrungen von der Religion, manchmal richtet sich ihr Einfluss aber gegen den Glauben. Dann geben die Menschen ganz ihren Leidenschaften und Begierden, ihren Schwächen und ihrer Unvollkommenheit nach und werden dadurch gehindert, auf den Ruf des Glaubens zu hören und seinen Weg zu befolgen.   Wenn ihnen dies klar wird, erleben sie eine unerwartete Enttäuschung, und ihr Vertrauen in die Wahrhaftigkeit und Verwirklichbarkeit einer religiös ausgerichteten Lebensweise wird erschüttert. Oft werden sie sogar von Zweifeln an der Religion überhaupt heimgesucht.   So entsteht eine ganze Reihe von verkehrten Ansichten aus einem grundsätzlichen Irrtum: nämlich aus der falschen Einschätzung des Islam als Religion und Leitfaden für die Lebensweise der Menschen, oder dadurch, dass seine wichtigste und einfachste Wahrheit außer Acht gelassen wird.   Der Islam setzt sich aus einer Anzahl von Weisungen und Geboten zusammen, die von Gott für das menschliche Leben gegeben wurden. Ob diese Gebote sich verwirklichen lassen, hängt von den Anstrengungen der Menschen selbst innerhalb der Grenzen ihrer menschlichen Fähigkeiten und der materiellen Wirklichkeit in einer bestimmten Umwelt ab. Das Bemühen, zu diesem Ziel zu gelangen, beginnt an dem Punkt, wo der Menschheit die entsprechenden Möglichkeiten gegeben sind und setzt sich fort bis zu den Grenzen, die ihr durch ihre eigenen Fähigkeiten gesteckt sind, sofern diese voll ausgenützt werden.   Ein grundsätzliches Merkmal des Islam ist es, dass der niemals, nirgends und zu keiner Zeit die Natur des Menschen, die Grenzen seiner Kapazität und die materielle Wirklichkeit seines Daseins außer acht lässt. Und doch ermöglicht er dem Menschen - wie es bereits so oft in der Vergangenheit geschehen ist und sich bei entsprechender Anstrengung auch jederzeit wieder ereignen kann -, eine höhere Entwicklungsstufe zu erreichen als irgendeine von Menschen erdachte Weltanschauung. Wird der rechte Weg verfolgt, so lässt sich diese Entwicklungsstufe leicht, bequem, sicher und ohne Fanatismus erlangen.   Der ganze Irrtum entsteht - wie oben erwähnt - nur dadurch, dass man das Wesen dieser Religion falsch versteht und ihre Gebote nicht befolgt, da man Wunder vor ihr erwartet, geheimnisvolle Kräfte, die die Natur des Menschen ändern sollen, ohne seine begrenzten Fähigkeiten und die materielle Wirklichkeit seiner Umwelt zu berücksichtigen.   Wurde der Islam nicht von Gott offenbart? Und ist Gott nicht allmächtig? Warum wirkt sich dieser Glaube nur in den engen Grenzen menschlichen Könnens und Vermögens aus? Warum sollten die Ergebnisse seines Einwirkens von menschlicher Unzulänglichkeit beeinträchtigt werden? Warum triumphiert er nicht stets, warum sind die Anhänger dieses Glaubens nicht immer die Siegreichen? Warum wird seine Reinheit, seine Triebkraft manchmal von menschlichen Schwächen, von Begierden, von der materiellen Wirklichkeit überschattet? Warum erlangen die Ungerechten manchmal den Sieg über die Rechtschaffenen, die getreuen Anhänger dieses Glaubens?   Dies alles sind Fragen und Zweifel, die in erster Linie durch falsches Einschätzen und Verstehen der Grundnatur dieses Glaubens und seiner Wirkungsweise entstehen.   Natürlich ist Gott fähig, die Natur des Menschen mit Hilfe des Islam oder durch irgendetwas anderes zu verändern. Doch Er, der Erhabene, weiß gewiss am allerbesten, warum Er es vorzog, den Menschen so zu erschaffen, wie er heute ist. Sein Wille, nur den mit göttlicher Führung zu belohnen, der sich sehr darum bemüht und danach sehnt. "Und diejenigen, welche für Uns eifern, wahrlich, leiten wollen Wir sie auf Unseren Wegen" (Qur'an Sure 29, Vers 69).   Es ist auch Sein Wille, dass die menschliche Natur stets wirksam sei und nicht etwa zeitweise lahm gelegt oder außer Kraft gesetzt werde: "Und bei der Seele und ihrer Vollendung - und Er gewährte ihr den Sinn für das, was für sie unrecht und was für sie recht ist - wahrlich, wer sie lauterer werden lässt, dem ergeht es wohl; und wer sie in Verderbnis absinken lässt, der wird zuschanden" (Qur'an Sure 91, Vers 8-11). Es ist Sein Wille, dass Seine göttlichen Gebote für das menschliche Leben durch menschliche Anstrengungen innerhalb der Grenzen menschlicher Fähigkeiten befolgt und in die Tat umgesetzt werden. "Gewiss, Gott ändert die Lage eines Volkes nicht, ehe die Menschen nicht selbst das ändern, was in ihren Herzen ist" (Qur'an Sure 13, Vers 12). "Und wäre es nicht, dass Gott die Menschen in Schranken hält, die einen durch die anderen, die Erde wäre mit Unordnung erfüllt" (Qur'an Sure 2, Vers 252).   So also ist es Gottes Wille, den Menschen auf eine Stufe von solcher Vortrefflichkeit zu erheben, wie es den von ihm eingesetzten Fähigkeiten und der Geduld entspricht, mit der er alle Widrigkeiten auf sich nimmt, die ihm dabei im Wege stehen, die von Gott gegebenen Gebote in die Tat umzusetzen und alles Üble und Schlechte bei sich selbst und in seiner Umwelt auszumerzen. "Meinen die Menschen, sie würden in Ruhe gelassen werden, wenn sie bloß sagen: 'Wir glauben', und sie würden nicht auf die Probe gestellt? Wir stellten doch die auf die Probe, die vor ihnen waren. Also wird Gott gewiss die erkennen, die wahrhaftig sind, und gewiss wird Er die Lügner erkennen" (Qur'an Sure 29, Vers 3-4).   Keines der Geschöpfe Gottes, hat das Recht, Ihn, den Erhabenen, zu befragen, warum Er dies alles so und nicht anders gewollt habe. Keines Seiner Geschöpfe darf Ihn, den Allmächtigen, nach dem großen Schöpfungsplan fragen, dem Plan, der in der Natur jedes erschaffenen Wesens beschlossen ist. Keines Seiner Geschöpfe ist Gott ähnlich und besitzt gleich Ihm Wissen oder nur die Möglichkeit, etwas zu wissen.   Die Frage "warum" würde in diesem Zusammenhang weder von einem überzeugten Gläubigen noch von einem überzeugten Atheisten gestellt. Der überzeugte Gläubige würde sie nicht stellen, weil er zu viel Ehrerbietung und Ehrfurcht empfindet vor Gott - um dessen Wesen, Eigenschaften und Macht er weiß - und weil er sich nur zu gut seines begrenzten Wahrnehmungsvermögens bewusst ist, das nicht dazu befähigt ist, auf so hoher Ebene zu funktionieren. Der überzeugte Atheist würde die Frage nicht stellen, weil er die Existenz Gottes überhaupt nicht anerkennt. Würde er die Frage Gottes anerkennen, so würde er auch um Seinen Ruhm und Seine Herrlichkeit wissen und den tieferen Sinn Seiner Göttlichkeit verstehen; "Er kann nicht befragt werden nach dem was Er tut, sie aber werden befragt werden" (Qur'an Sure 21, Vers 24). Denn Er allein ist allwissend, gewahr dessen, was Er tut.   Dies ist also eine Frage, die höchstens von einem leichtfertigen Menschen gestellt wird, nicht aber von einem wahrhaft Gläubigen oder einem ernsthaften Atheisten. Deshalb braucht man sie gar nicht zu beachten oder ernst zu nehmen. Sie wird gestellt von einem Menschen, der nichts vom Wesen der Göttlichkeit und ihren Merkmalen weiß. Die einzige Möglichkeit, Ignoranten zu belehren, besteht nicht in einer direkten Antwort, sondern man muss ihnen vielmehr das Wesen und die Merkmale der Göttlichkeit erklären. Dann werden sie sich entweder von den Argumenten überzeugen lassen und sie akzeptieren und damit Gläubige werden; oder sie werden das Gesagte in Abrede stellen und zurückweisen und dadurch zu Atheisten werden. Damit ist die Kontroverse beigelegt, es sei denn, sie würde sich zur Polemik ausweiten. Entwickelt sich eine Kontroverse jedoch zur Polemik, so ist es dem Muslim nicht gestattet, sie fortzusetzen.   Wir gelangen in diesem Zusammenhang zu nachstehender Schlussfolgerung: Keines von Gottes Geschöpfen hat das Recht zu fragen, warum es Sein Wille ist, die Menschen so zu schaffen, wie sie sind; warum Er will, dass die menschlichen Natur immer und ununterbrochen wirksam bleibe; und warum es schließlich Sein Wille ist, dass die göttlichen Gebote für das irdische Leben durch die menschliche Existenz und menschlichen Anstrengungen verwirklicht werden und nicht durch wundersame, geheimnisvolle und verborgene Mittel und Wege.   Es ist jedoch die Pflicht jedes einzelnen Seiner Geschöpfe, diese Tatbestände zu erkennen, zu beachten und sich darum zu bemühen, dass sie im menschlichen Leben in die Tat umgesetzt werden. Jeder Mensch sollte die Fakten der Menschheitsgeschichte in diesem Leben interpretieren.   Dabei gelangt er einerseits zum Verständnis des historischen Entwicklungsganges und lernt andererseits, wie er diesem Entwicklungsgang entgegentreten und ihn beeinflussen kann. Gleichzeitig sollte er sich stets der Weisheit und Macht Gottes bewusst sein und im Vertrauen darauf den richtigen Standpunkt beziehen und verfechten.   Diese göttliche Religion, wie sie in ihrer endgültigen Form von dem uns durch den Propheten Muhammad - Gottes Friede und Segen sei mit ihm - überbrachten Islam dargestellt wird, wird auf dieser Erde und im Bereich der Menschheit nicht einfach aufgrund dessen wirksam, dass sie von Gott offenbart worden ist. Sie wird nicht verwirklicht, indem man sie den Menschen predigt und verkündigt. Sie wird nicht etwa in der Weise durch die Macht Gottes in die Tat umgesetzt, wie durch Seinen Befehl das Firmament entstand und die Planeten gemäß Seinem Willen die Erde umlaufen.   Sie wird verwirklicht von einer Gruppe von Menschen, die sich dies zur Lebensaufgabe gemacht haben, die mit Herz und Seele an diese Religion glauben, die sich so eng wie irgend möglich an ihre Gebote halten und dabei versuchen, auch die Herzen anderer Menschen dafür zu gewinnen, damit sie in deren Leben ebenfalls verwirklicht werde; sie ringen darum gegen jene, die sich durch ihre Schwächen und Begierden dazu verleiten lassen, die göttliche Führung in den Wind zu schlagen. Indem sie diese göttliche Religion verwirklichen, erreichen sie ein Ziel, das zu erlangen der menschlichen Natur unter den gegebenen materiellen Umständen möglich ist. Sie nehmen den Menschen wie er ist und lassen seine tatsächliche Verfassung, seine Veranlagungen und seine Ansprüche nicht außer Acht, während er die einzelnen Lebenswege durchläuft und hinter sich lässt.   Diese Kämpfer auf Gottes Wegen werden manchmal den Sieg über die eigenen Seelen und den Machenschaften anderer gänzlich überwältigt und vernichtet werden. Sieg oder Niederlage wird ganz davon abhängen, wie groß die Anstrengungen sind, die sie unternehmen und welche Mittel die geeigneten für die gegebenen Umstände und die Erfordernisse der entsprechenden Zeit sind, in der sie leben. Noch wichtiger jedoch für die Entscheidung, ob sie siegen oder unterliegen werden, ist das Maß, in dem sie bei sich selbst, in ihrem eigenen Leben diese Religion in die Tat umsetzen; ob es ihnen gelingt, ihr in ihrem persönlichen Verhalten und Benehmen praktischen Ausdruck zu verleihen.   Dies also ist das Wesen des islamischen Glaubens und seines Wirkens. Das ist das Programm, die Methode, nach denen er funktionieren kann. Dies ist die Wahrheit, die Gott der Gemeinschaft der Muslime vermitteln wollte, als Er sagte: "Gewiss, Gott ändert die Lage eines Volkes nicht, ehe die Menschen nicht selbst das ändern, was in ihren Herzen ist" (Qur'an Sure 13, Vers12). "Und wäre es nicht, dass Gott die Menschen in Schranken hält, die einen durch die anderen, die Erde wäre mit Unordnung erfüllt" (Qur'an Sure 2, Vers 252) und "Und diejenigen, welche für Uns eifern, wahrlich, leiten wollen Wir sie auf Unseren Wegen" (Qur'an Sure 29, Vers 69).   Dies ist die Wahrheit, die Gott den Muslimen anlässlich der Schlacht von Uhud klarmachen wollte, als sie es in bestimmten Kampfabschnitten nicht fertig brachten, das echte Wesen des Glaubens bei sich selbst zu verkörpern. Sie ließen die allerwichtigste Wahrheit außer Acht oder vergaßen sie gar, weil sie sich einbildeten, der Sieg müsse eine unausbleibende Folge dessen sein, dass sie Muslime waren. Doch Gott der Erhabene sagte zu ihnen: "Wie! Wenn euch ein Unheil trifft - und ihr hattet das Doppelte hinzugefügt - dann sprecht ihr: 'Woher kommt das?' Sprich: 'Es kommt von euch selber' " (Qur'an Sure 3, Vers 166)   Und weiter sagte Er zu ihnen: "Wahrlich, Gott hat euch Sein Versprechen gehalten, als ihr sie schluget und vernichtetet mit Seiner Erlaubnis; dann aber, als ihr schwanktet und unter euch uneins wurdet über den Befehl und ungehorsam wart, nachdem Er euch gezeigt hatte, was ihr liebtet zog Er Seine Hilfe zurück. Es waren unter euch solche, die nach dieser Welt verlangten, und solche, die nach jener Welt verlangten. Dann wandte Er sich von euch ab, um euch zu prüfen" (Qur'an Sure 3, Vers 153)   Die Gemeinde der Muslime erfuhr diese Wahrheit bei der Schlacht von Uhud nicht durch Worte des Vorwurfs sondern durch Blut und Wunden. Sie bezahlten einen hohen Preis: Niederlage nach dem Sieg; Verluste anstatt Beute; eine Wunde , von der keiner verschont blieb; edle und teure Märtyrer, darunter Hamsa, der tapferste von allen - möge Gott Wohlgefallen an ihm finden - ! Doch am schlimmsten von allem und ärger noch als dies für die ganze Muslim-Gemeinschaft: die Verletzung des Propheten Gottes - Gottes Friede und Segen sei mit ihm.   Es steht also eindeutig fest, dass die Verwirklichung der Gebote Gottes den menschlichen Bemühungen überlassen bleibt. Die Tatsache, dass die göttlichen Gebote innerhalb der Grenzen menschlicher Kapazität verwirklicht werden, verbessert die Seele und reformiert das Leben der Menschen. Wir sagen dies nicht, um damit einen Grund dafür zu nennen, warum es Gottes Wille war, alles so zu erschaffen, wie es ist, sondern um damit praktische Beobachtungen über die Auswirkungen darzulegen, die Sein Wille auf das Leben Seiner Anbeter und Diener hat.   Die Wahrhaftigkeit des Glaubens hat sich noch nicht voll erwiesen, solange die Menschen seinetwegen nicht den Kampf auf sich nehmen. Den Kampf gegen ihre eigene Abneigung und ihren Widerstand, den Kampf, durch den sie sich selbst aus dieser ablehnenden Haltung in eine dem Islam und damit der Wahrheit zugewandte Haltung versetzen. Ein Kampf mit dem gesprochenen Wort, durch Erklärung und Verbreitung des Richtigen und durch Zurückweisung und Entkräftung des Falschen, Unrechten anhand der im Islam offenbarten Wahrheit. Jedoch auch ein physischer Kampf, durch den die Hindernisse auf dem rechten Pfad entfernt werden, wenn brutale Gewalt ihn zu verbauen oder zu zerstören droht. In diesem Kampf wird einem Unglück und auch Leiden widerfahren. man wird sehr viel Geduld benötigen. Selbst in Zeiten des Sieges muss man Geduld aufbringen, und das ist vielleicht noch schwieriger. Nur wenn man all das durchgemacht hat, wird man standhaft und beharrlich, verfolgt den geraden Weg des Glaubens aufrichtig und lässt sich durch nichts davon abbringen.   Dieser Kampf ist für den einzelnen von größter Wichtigkeit, denn während er mit anderen Menschen ringt, bekämpft er auch sich selbst und seine eigenen Schwächen. Dabei eröffnen sich im ganz neue Horizonte auf dem Gebiet des Glaubens, Horizonte, die ihm nie zu Gesicht kommen würden, wenn er unbeweglich und starr auf einem Fleck sitzen bliebe. Er nimmt dabei die Menschen und das Leben betreffende Fakten wahr, die ihm auf keine andere Weise hätten klar werden können. Sein Geist, seine Gefühle, seine Ansichten, seine Gewohnheiten, sein Wesen, seine Reaktionen und geäußerten Empfindungen - sie alle werden auf eine Entwicklungsstufe gebracht, die er ohne diese harten und bitteren Erfahrungen niemals erreicht hätte.   Dies alles drückt sich neben anderem in dem uns von Gott offenbarten Vers aus: "Und wäre es nicht, dass Gott die Menschen in Schranken hält, die einen durch die anderen, die Erde wäre mit Unordnung erfüllt." (Qur'an Sure 2,Vers 252) Am meisten gefährdet ist der Geist des Menschen. Er kann durch Stagnation verdorben werden, die den Willen schwächt und schließlich lahm legt. Diese Stagnation greift dann auf das ganze Leben über. Oder das Leben dreht sich schließlich nur noch um die Befriedigung von Leidenschaften und Begierden, wie wir es immer wieder bei Nationen beobachten können, die in großem Luxus schwelgen.   Das aber ist gleichfalls ein Teil der menschlichen Natur, wie Gott sie in uns gelegt hat. Er hat es so eingerichtet, dass das Wohlergehen dieser menschlichen Natur nur durch den Kampf für die Verwirklichung der von Ihm offenbarten Religion und ihrer Gebote im menschlichen Leben erreicht werden und Bestand haben kann, und zwar duch menschliche Anstrengungen, soweit sie im Bereich der menschlichen Fähigkeiten liegen.   Hinzu kommt, dass dieser Kampf und die damit verbundenen Prüfungen ein Mittel darstellen, mit dessen Hilfe die Gesellschaft im großen - nach der vorausgegangenen Läuterung des individuellen Geistes - sozusagen gereinigt wird, indem die Trägen und Heuchler, die Engherzigen und Engstirnigen, die Schwindler und Betrüger ausgeschlossen werden.   Dies ist die Wahrheit, die Gott der Muslim-Gemeinschaft vor Augen führen will, indem Er sie allen möglichen Prüfungen und Heimsuchungen aussetzt. Nur so offenbaren sich die geheimsten Schlupfwinkel der Seele - nur unter dem Schlaghammer des Schicksals, der Heimsuchung, bitterste Erfahrungen und schlimmste Leiden austeilt, kann sich die Gesellschaft läutern.   Dies ist die Wahrheit, die Gott die Muslim-Gemeinschaft nach der Schlacht von Uhud lehren wollte, als Er auf die Frage des Muslime: "Woher kommt das?" antwortete: "Es kommt von euch selber" (Qur'a Sure 3, Vers 166) Dann fährt Er fort: "Und was euch traf an dem Tage, als die zwei Heere zusammenstießen, das geschah nach Gottes Gebot, damit Er die Gläubigen unterscheiden möchte und damit Er die Heuchler unterscheiden möchte" (Qur'an Sure 3, Vers 167-168) "Gott gedenkt nicht, die Gläubigen in der Lage zu belassen, in der ihr euch befindet, bis Er die Schlechten von den Guten gesondert hat" (Qur'an Sure 3, Vers 180) " ... auf dass Gott die Gläubigen unterscheide und aus eurer Mitte Zeugen (und Märtyrer) nehme - und Gott liebt nicht die Ungerechten - und damit Gott die Gläubigen reinige und austilge die Ungläubigen" (Qur'an Sure 3, Vers 141-142)   All dies grub sich in ihr Bewusstsein ein, während ihnen gleichzeitig klar wurde, dass die Tragödie dadurch herbeigeführt worden war, dass sie nicht imstande gewesen waren, die volle Bedeutung ihres Glaubens, den Sinn ihrer Religion in den Gedanken und Taten während der Schlacht auszudrücken und in die Wirklichkeit umzusetzen. Und schließlich erwies sich alles noch durch Gottes Gnade und Seine Vergebung für ihre Fehler als ausgesprochener Nutzen, als Wohltat für sie. Was geschehen war, wurde zu einer guten Lehre für sie, es half ihnen, sich zu läutern und ihre Gemeinschaft von den Schwachen zu reinigen.   Zurückkommend auf das wahre Wesen des Islam und die Art und Weise, auf die sich seine Gebote in die Tat umsetzen lassen, muss zu dem Gesagten noch eine zusätzliche Erklärung hinzugefügt werden.   Die Tatsache, dass die von Gott gegebene Religion nur durch menschliche Anstrengungen verwirklicht werden kann, und zwar innerhalb der Grenzen menschlicher Fähigkeiten und der materiellen Wirklichkeit des menschlichen Daseins in den verschiedenen Entwicklungsphasen und äußeren Gegebenheiten, besagt nicht, dass der Mensch hierbei ganz und gar unabhängig ist, dass er vom göttlichen Plan und Willen, von Seiner Hilfe und Seinem Beistand ausgeschlossen ist. Wollte man diese Ansicht vertreten, so stände das in fundamentalem Widerspruch zur islamischen Denkweise.   Wir haben bereits dargelegt, dass Gott der Allmächtige dem hilft, der sich redlich um die wahre Führung bemüht: "Und diejenigen, welche für Uns eifern, wahrlich, leiten wollen Wir sie auf Unseren Wegen" (Qur'an Sure 29, Vers 69), und "Gewiss, Gott ändert die Lage eines Volkes nicht, ehe die Menschen nicht selbst das ändern, was in ihren Herzen ist" (Qur'an Sure 13, Vers 12)   Diese beiden Zitate besagen, welche Beziehung zwischen den menschlichen Anstrengungen und der Hilfe besteht, die Gott der Menschheit zuteil werden lässt; durch diese Hilfe gelingt es den Menschen, das Gute, die rechte Führung und wahre Tugend zu erreichen, die sie erstreben. Es ist letztlich Gottes Wille, der über alles entscheidet und ohne den der Mensch alleine nichts erreichen kann. Dieser Wille jedoch wird denen zu Hilfe kommen, die ihn kennen und wissen, wie er wirkt, die um seine Hilfe bitten und sich danach sehnen, Gottes Wohlgefallen zu erlangen.   Davon abgesehen aber ist es die göttliche Vorherbestimmung oder Vorsehung, die alle menschlichen Wesen und Ereignisse umfasst und in sich einschließt. Alle Prüfungen und Heimsuchungen sowie die Wohltaten, die den Rechtschaffenen daraus erwachsen, treffen die Gläubigen nur in Übereinstimmung damit.   Dementsprechend machte Gott der Allmächtige der Muslim-Gemeinde nach der Schlacht von Uhud die Gründe für Sieg und Niederlage verständlich, wobei deutlich die tiefe göttliche Weisheit zutage trat, die sich selbst in Heimsuchungen, im Sieg wie in der Niederlage zeigte: "Wahrlich, Gott hatte euch Sein Versprechen gehalten, als ihr sie schluget und vernichtetet mit Seiner Erlaubnis; dann aber, als ihr schwanktet und unter euch uneins wurdet über den Befehl und ungehorsam wart, nachdem Er euch gezeigt hatte, was ihr liebtet zog Er Seine Hilfe zurück.   Es waren unter euch solche, die nach dieser Welt verlangten, und solche, die nach jener Welt verlangten; dann wandte Er sich von euch ab, um euch zu prüfen" (Qur'an Sure 3, Vers 153) Außerdem war es die Absicht Gottes, den Muslimen Seine alles umfassende Religion vor Augen zu führen, ihnen hinter allen Ursachen und Ereignissen Seinen absoluten Willen und Seine unüberwindliche Macht zu zeigen. "Habt ihr eine Wunde empfangen, so hat gewiss das (ungläubige) Volk bereits eine ähnliche Wunde empfangen. Und solche Tage (des Sieges und der Niederlage) lassen Wir wechseln unter den Menschen, auf dass sie ermahnt würden und Gott die Gläubigen unterscheide und aus eurer Mitte Zeugen (und Märtyrer) nehme - und Gott liebt nicht die Ungerechten - und damit Gott die Gläubigen reinige und austilge die Ungläubigen" (Qur'an Sure 3, Vers 141-142).   So ist es also, wenn man die Schlussfolgerungen aus all dem zieht, der Plan, der Wille, der Beschluss Gottes, der hinter den Ursachen und Ereignissen steht, die herbeizuführen Er wünscht. Das ist etwas, worüber niemand Gott den Allmächtigen befragen darf - und es ist die größte im Glauben liegende Wahrheit. Wenn eine Seele sich dessen nicht ganz klar bewusst ist, dann ist ihr Glaube nicht perfekt und vollständig. Dies ist die erklärende Bemerkung, die wir glaubten, diesem Kapitel noch beifügen zu müssen.   Der Muslim, der aus seinem gläubigen Herzen heraus ganz instinktiv das Wesen des Glaubens erfasst, wird hier keinen Widerspruch entdecken und tatsächlich gibt es auch nichts, was im Widerspruch zum Buch Gottes steht.   Quelle: http://vcv.at/vcvtext/vcvtext-01.htm

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