Unabhängige geistige Wahrnehmungen in Gesetz und Theologie des Islam
Unabhängige geistige Wahrnehmungen in Gesetz und Theologie des Islam
Author :
Mohammad Tahir Yusufi
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Einige Anmerkungen zu unabhängigen geistigen Wahrnehmungen (mustaqillat-i 'aqliyyah) im islamischen Gesetz und in der islamischen Theologie Eine der kontroversesten und subtilsten Fragen des islamischen Denkens bezieht sich auf die Verbindung zwischen dem geistigen Urteil und dem göttlichen Gesetz. Kann das geistige Urteil das göttliche Gesetz enthüllen oder nicht? Diese Frage hat einen ehrwürdigen Stammbaum, der zurückgeht bis zu frühen griechischen Spekulationen und Versuchen, ethische Gesetze auf eine logische Weise darzustellen. Später führten europäische und muslimische Gelehrte diese Versuche auf verschiedene Weisen fort. Unter den bekannten westlichen Philosophen, die sich auf diesem Weg bemühten, sticht Spinozas Name hervor. Sein "Ethik" ist Ausdruck eines solchen Bemühens. In der islamischen Welt ist der Höhepunkt dieses Kampfes vielleicht in der schiitischen Denkschule zu sehen, die an die vollständige Harmonie zwischen dem geistigen Verstehen von Gut und Böse und dem göttlichen Moralgesetz glaubte. Verschiedene islamische Denkschulen waren in dieser bestimmenden und lehrreichen Frage jedoch entweder völlig oder teilweise unterschiedlicher Meinung. Die Vertreter definierten die Wahrheit der Sache mittels einer logischen Demonstration des Syllogismus, dessen Aussagen, nachdem sie geistig etabliert sind, das "Gute" oder "Böse" einer speziellen Entität oder Handlung beweisen können. Einige, wie die Ap'ariten, widersetzten sich dieser Denkmethode vollkommen und behaupteten, dass es für den Geist nichts als die substanzielle Gutheit oder Schlechtheit einer Sache zu urteilen gibt. Sie waren auch gegen den substanziellen und notwendigen Zusammenhang zwischen geistigem Urteil und göttlichem Gesetz. Andere, wie die Maturiditen, deren Ansichten von einigen Gelehrten als moderat angesehen werden, glaubten nur an die kleine Aussage des Syllogismus, den die Vertreter der "Offenbarung des göttlichen Gesetzes durch den Geist" vertreten. Sie glauben an das substanziell Gute oder Böse von Dingen, missbilligen aber die ureigene Notwendigkeit zwischen Urteil und Göttlichem Gesetz. Es geht in diesem Text um unabhängige geistige Wahrnehmungen in islamischen Rechts- und Moralphilosophien. Diese Diskussion im islamischen Recht hat eine wichtige Relevanz für unser Verständnis von Natur- und Moralgesetzen in der späteren europäischen Philosophie. Viele alte Denker haben die Meinung vertreten, dass es einige Prinzipien und Werte im Recht gibt, die universal und gleichermaßen in allen Gesellschaften beobachtbar sind. Diese Platoniker hatten vollkommenen Glauben an die wahre und intelligible Natur der Ethik (ahlaq); für sie hatte das Moralgesetz eine ontologische Grundlage. Eine der größten Neuerungen von Sokrates war sein Bemühen, das logische Wesen der Ursprünge der Ethik zu beweisen, ohne auf im Glauben basierende Beweise zu vertrauen. Sokrates glaubte, dass man, wo immer dies möglich ist, die Prinzipien der Ethik in Harmonie bringen sollte, indem man sie auf eine rationale und logische Weise präsentiert, so dass jeder ihnen folgen kann durch reines Urteil des Intellekts, ohne an metaphysische Entitäten und deren Autorität zu glauben. (S. A. H. Armstrong, An Introduction to Ancient Philosophy, London 1947, S. 30f.) Das bedeutet jedoch nicht, dass Sokrates nicht an das Notwendige Sein oder die Offenbarung glaubte. Vielmehr war dieser Schritt ein Versuch, die Ethik und erhabene menschliche Werte in die griechische Gesellschaft zurückzubringen. Die zentrale Aussage dieser platonischen Philosophen ist, dass ethische Mängel und das Begehen von Straftaten und folglich schlechten Taten aus dem falschen Verständnis der Aussagen resultieren; würden die Menschen die Wirklichkeit von Dingen verstehen, würden sie keine ethischen Fehler begehen. Kurz gesagt sehen die Philosophen die Kognition als die Quelle aller (ethischen) Tugenden und Zustände der Frömmigkeit an. Platon hat es in seinem Theotetus gewagt, diese profunde und abstruse Diskussion zu behandeln, und hat sich mit ihr mit besonderer Tiefe und Bereitschaft des Geistes befasst. (S. Terence Irwin, Classical Thought, Oxford 1989, S. 88f.) Wir müssen hier hervorheben, dass diese Gruppe von Philosophen nicht an die (konstitutionelle) Autorität des Intellekts per se glaubt. Vielmehr vertreten sie die Ansicht, dass der Intellekt nur das beste System enthüllt hat und man entsprechend agieren sollte. Diese Bewegung erreichte den Höhepunkt ihres Einflusses mit Rousseau. Der von Rousseau und seinen Anhängern auf diese Frage bezogene Beweis basiert auf Gefühl. Im Gegensatz dazu ist Kants vernünftige Schlussfolgerung logisch. Und wenn man die logische Darstellung dieser Meinungen kennen lernen möchte, muss man auf die Werke Kants Bezug nehmen. (Immanuel Kant, Naqd al-'aql al-muJarrad. Übers. Von Ahmad Paybani, Beirut 1965. Critique of Pure Reason. P. Guyer & A. W. Wood (Hg. und Übers.) London 1998. Ta'sis Mitaphizik al-Avlaq. Übers. Von 'Abd al-5affar Makawi, Beirut 1965. Groundwork of the Metaphysics of Morals. M. Gregor (Hg. und Übers.) mit einer Einleitung von C. M. Korsgard, Cambridge 1998. ) Kant hat diese Philosophie in extremer Detailliertheit und Tiefe vorgelegt. Er ging so weit, zu sagen, dass man, wenn man theoretische, auf die Metaphysik bezogene Fragen beweisen will, man auch auf die praktische Vernunft ('aql-i 'amali) (Kant, Groundwork of the Metaphysics of Morals, a.a.O., S. 17f.) zurückgreifen muss. Dies steht gänzlich im Widerspruch zu der von Sokrates und Platon angewandten Methode, denn sie sahen die theoretische Vernunft ('aql-i nacari) als die Grundlage für das Handeln der praktischen Vernunft an. Kant glaubt jedoch, dass die praktische Vernunft ohne vernünftige Darstellung der beste Richter ist, mittels der die Prinzipien der spekulativen Weisheit (hikmat-i nacari) bewiesen werden müssen. Kant sieht in der Kritik der reinen Vernunft alle intellektuellen Beweise für die Existenz Gottes als schwach an. (Kant, Groundwork of the Metaphysics of Morals, a.a.O., S. 563-569.) Er sagt somit, dass moralische Gesetze, die dem Wesen des Menschen verliehen wurden, und die von der praktischen Vernunft entdeckt werden, der größte Beweis sind für die Existenz des Einen Gottes. (Ebd., S. 683.) Nach Kant hat die Diskussion der Gesetze des menschlichen Wesens eine mannigfaltige Geschichte. Bis zu einem gewissen Maß wurden die Prinzipien Kants akzeptiert, obgleich mehr für ihre praktischen Dimensionen, wobei der Ruf nach Menschenrechten eine ihrer manifesten Formen war. Nichtsdestotrotz haben Philosophen nach Kant diese Frage unter dem philosophischen Aspekt auf eine andere Art und Weise behandelt. (Ein fruchtbares Beispiel für eine Arbeit zur Moralphilosophie, die sich mit der Sprache der Rechte in einem kantischen Rahmen befasste ist John Rawls's "A Theory of Justice", Cambridge 1971. Einige Moralphilosophen sehen jedoch das kantische System als einen vollständigen Fehlschlag an und würden zurückgehen auf Formen des Kommunitarismus in Verbindung mit Aquin und sogar Aristoteles. S. Alisdair McIntyre, After Virtue: a Study in Moral Theology. 2. Aufl. London 1985.) Bisher war die Diskussion propädeutischer Natur, und wie zu Beginn erwähnt, ist die Absicht dieser Erörterung, das islamische Recht und die Rechtsethik zu erwägen, und deshalb möchte ich davon absehen, die Meinung westlicher Philosophen zu evaluieren. Die Diskussion über unabhängige geistige Wahrnehmungen im Islam ist ein lehrreiches Thema. Seine Diskussion und Analyse aus philosophischer Sicht wie auch ihr Rechtsaspekt im islamischen Recht ist sehr profund, und kann zu unserem Verständnis von europäischen Diskussionen über die Beziehung zwischen der Vernunft und dem moralischen Gesetz beitragen. Unabhängige geistige Wahrnehmungen im Islam Die Diskussion über unabhängige geistige Wahrnehmungen besteht aus den folgenden drei Prinzipien:
- Sind Handlungen und Entitäten essentiell "gut" oder "schlecht" oder nicht?
- Angenommen, sie sind essentiell so, hat der Intellekt die Macht, dies zu entdecken oder nicht?
- Angenommen, der Intellekt hat die Macht, die essentielle "Gutheit" oder "Schlechtheit" von allen oder sogar einigen Dingen zu entdecken, enthüllt er auch das göttliche Gesetz?
- Syllogismus (qiyas).
- Induktion (istiqra').
- Analogie (tamtil).
- der Unterprämisse (sugra), die das essentiell Gute oder Schlechte einer Entität entschlüsselt und beurteilt.
- Die Oberprämisse (kubra), die die geistige Wahrheit darlegt, dass diese Sache gemäß dem Verstand ('aql) gut oder schlecht ist wie auch dem göttliche Gesetzgeber (pari') zufolge.
- Die Ap3ariten glauben grundsätzlich nicht an das geistige Verständnis von "gut" und "schlecht". Statt dessen sind sie der Meinung, dass nichts oder keine Handlung essentiell "Gutheit" oder "Schlechtheit" besitzt, so dass man diese geistig entdecken könnte. Vielmehr hängt die "Gutheit" oder "Schlechtheit" von Dingen vom Gesetz des göttlichen Gesetzgebers ab. (A. Kevin Reinhart, Before Revelation. The Boundaries of Muslim Moral Thought, Albany 1995, s. 161-172.)
- Die Maturiditen (D. h. Anhänger der zentralasiatischen Schule von Abu Mansur al-Maturidi (gest. 942).) glauben an das essentiell Gute und Schlechte von Dingen, stimmen aber nicht der intrinsischen Notwendigkeit zwischen dem göttlichen Gesetz und dem Urteil des Geistes zu. Die schiitische Schule der Avbariten allgemein (D. h. schiitische Traditionalisten, die mißtrauisch sind gegenüber rationalistischen Herleitungsformen.) und der Verfasser von Fusul al-muhimma (D. h. 'Allama jamal al-Din Yusuf Ibn Mutahhar al-Hilli (gest. 1325).) unter den usuli-Gelehrten glauben, daß die Ansichten der Maturiditen mit den maßlosen und widersprüchlichen Ansichten der Ap'ariten und Mu'taziliten hauptsächlich einen moderaten Mittelweg eingeschlagen haben. Zu dieser Frage haben sie zwischen dem fraglosen Rationalismus der Mu'taziliten und der dogmatischen Bewegung der Ap'ariten, die sich dem Geist widersetzt, einen Mittelweg eingeschlagen. (A. Kevin Reinhart, a.a.O., S. 51, 54.)
- Die Mu'taziliten und die Imamiten akzeptieren vollkommen die essentielle und intelligible Natur der Gutheit und Schlechtheit von Dingen, und sie glauben, dass der rationale Mensch zustimmt, dass die Gutheit und das Schlechte einer Sache das göttliche Gesetz der Handlung oder Sache offenbart. (B. Abrahamov, Islamic Theology: traditionalism and rationalism. Edinburgh 1998, S. 36; Richard Frank, Several fundamental assumptions of the Basra school of the Mu'tazila. Studia Islamica 33 (1971), S. 5-18; G. F. Hourani, The rationalist ethics of 'Abd al-jabbar, in: Reason and Tradition in Islamic Ethics, Cambridge 1985, S. 98-108.) Unter den Mu'taziliten haben einige Denker extremere rationalistische Sichtweisen als andere, während die Imamiten hinsichtlich der Frage nach dem essentiellen Guten oder Schlechten einer Entität nicht einmütig sind. Neben den Avbaris und dem Autor von al-Fusul, die die intrinsische Notwendigkeit zwischen dem Geist und dem göttlichen Gesetz eindeutig verworfen haben, haben viele imamitische Gelehrte keine Position bezogen. Ihr Stillschweigen lässt vermuten, dass sie von der intrinsischen Notwendigkeit zwischen dem Urteil des Intellekts und dem göttlichen Gesetz nicht vollständig überzeugt sind. (A. Kevin Reinhart, a.a.O., S. 39-43; W. Madelung, Imamism and Mu'tazilite Theology, in Religious schools and sects in medieval Islam, London 1985. Aber es gab keine einheitliche mu'tazilitische Position; Basraer und Bagdader waren verschiedener Meinung und die Schule umfasste ein weites Meinungsspektrum, das sich um Schlüsselfragen wie geistige Wahrnehmung von gut und böse drehte.)
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