Traktat zur Diversität in der islamischen Jurisprudenz (2)
Traktat zur Diversität in der islamischen Jurisprudenz (2)
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Die Substanz der offenen Fragen
Man ist sich strittig geblieben, inwieweit und ob der Intellekt über gut und böse urteilen kann, und das auch innerhalb der Muslimischen Gemeinde.
Während die Aš`arīten und die Sunniten im Allgemeinen diese Möglichkeit verneint haben, haben die Mu´tazilīten und die Šī´a (Schiiten) diese Möglichkeit bejaht.
Ausgenommen sind dabei die Imāme der Schia, ihre Tradenten und Theologen (al-Mutakallimūn) vor der Zeit der Verborgenheit, da diese eine ganz eigene, spezielle Erkenntnistheorie besitzen, die sich von allen anderen Theorien des Wissens in ganzem Maße deutlich differenziert.
Das Bestehen der Aš`arīten auf ihrer strengen Position, resultiert aus einer vorgefertigten Meinung über das Imāmtum, und ebenso auch das Bestehen der Schia auf der ihren. Die Theologen der Schia nämlich, folgten der Lehre ihrer Imāme und versuchten diejenigen, die die Existenz des Beweises (al-Huğğa) ablehnten mit denselben Argumenten zu widerlegen, mit denen auch die Argumente der Bestreiter des Prophetentums widerlegt wurden.
Ergo war die Frage des Guten und des Bösen (al-Husn wa al-Kubh) zunächst eine theologische und keine juristische Frage gewesen. Den schiitischen Theologen zufolge, war das Imāmtum ein Derivat des Prophetentums gewesen, auch wenn es passender gewesen wäre zu sagen, daß das Prophetentum eigentlich ein Derivat des Imāmtums ist. Denn ohne die ratio-nale Notwendigkeit eines fortdauernden Imāmtums (einer fortdauernden Leitung) und Beweises über die Schöpfung, ginge auch der Beweis für das Prophetentum verloren. Dies galt ihnen, den Theologen, zusätzlich zu den tradierten Willenserklärungen über die Nachfolge des Propheten und der Imām, als rationaler Beweis für die Notwendigkeit der Existenz des Imām zu jeder Zeit.
Die Aš`arīten fanden ihren Ausweg in einer arbiträren sprachli-chen Auslegung der diesbezüglichen Texte. Ein rationales Argument aber ließ sich nur überwinden, wenn man den Wert der rationalen und intellektuellen Erkenntnisse in dieser Frage ablehnen und auf die beliebig auslegbaren tradierten Texte reduzieren konnte. Die Aš`arīten lehnten das Vermögen des Intellekts folglich zu keinem anderen Zwecke ab, als zu diesem Zwecke, obwohl auch sie sehr gut wußten, daß niemand ohne das Urteilsvermögen des Intellekts an Gott, Seine Offenbarun-gen und Seine Propheten glauben kann.
Darum erschien dieses Vermögen bei ihnen zwar nicht in den Glaubensfragen, aber dafür in den untergeordneten juristischen Fragen umsomehr, was sich deutlich in ihren Rechtsanalogien und subjektiven Gutachten und Urteilen widerspiegelt, zum Trotz und wohl wissend, daß es sich in Wahrheit genau umgekehrt verhält.
Denn in Wahrheit liegen die Dinge so herum, daß die Person, nachdem sie Kraft des Intellekts zum Glauben an Gott und Seinen Gesandten gefunden hat, ebenfalls Kraft des Intellekts die Notwendigkeit sieht, dem Urteil Gottes und Seines Ge-sandten mit Hingabe Folge zu leisten. Denn es ist hier nicht so, daß der Intellekt eine Beteiligung am Urteil durch Analogie und subjektiver Meinung vorsieht, sondern, daß eine solche Beteiligung ausgeschlossen ist.
Damit liegen die Dinge bei den Aš<ārīten in umgekehrter Weise, als wie sie im Koran stehen.
Die Usūlīs der Imāmīten indes, drängten auf das allgemeine Urteilsvermögen des Intellekts in den Grundlagen des Glaubens um die Richtigkeit des Imamtums beweisen zu können, wobei sie dieses Vermögen auf eine Weise einbrachten, die sie als unabhängiges Urteil der Ratio bezeichneten. Sie verwendeten schließlich diese rationalen Zusammenhänge in Fragen der Jurisprudenz (al-Fikh), um eine Art rationale Beweiskraft des Intellekts gegenüber dem Urteil des Gesetzes herzubringen. Nach Außen hin haben sie die Prinzipien „Fürguthalten” und „Analogie” der Sunniten zwar weiter abgelehnt, um nicht mit der Anweisung der Imāme diesbezüglich in Konflikt zu geraten, aber nach Innen hin haben sie übersehen, oder ignoriert, daß die Analogie nichts anderes ist, als das Urteil des Intellekts aus dem rationalen Zusammenhang.
Beide Seiten haben darum, um einen Weg zu gehen, den das Gesetz energisch ablehnt, kurzerhand den Gebrauch der Fach-begriffe nach Belieben verändert, was im Ergebnis zu einer Absage an das Imāmtum geführt hat.
Der Unterschied ist nur, daß die Sunniten diesen Weg direkt und ohne Umwege gegangen sind, während ihn die Schia (in diesem Sinne) auf Um- und Schleichwegen in Anlauf genommen hat. Doch nicht alle Imamiten sind Usūlīs, auch wenn das auf die Mehrheit von ihnen zutrifft. Unter ihnen gibt es, außerdem noch die Akhbārīs, die den rationalen Nexus und die Prinzipen der Usūlīs, und man sollte nicht erstaunt sein, nicht zuletzt auch aus logischen Prinzipien heraus ablehnen. Selbst einige bedeutende Usūlīs, haben jüngst oder früher einen echten Nutzen der rationalen Erörterung der Fragen des Gesetzes bei der Ergründung des Gesetzes bezweifelt oder ganz abgelehnt.
Diversität im Koran
Ganz zu Beginn sollte festgehalten werden, daß sich der Koran nicht grundsätzlich gegen die Diversität per se ausspricht, auch wenn er eine religiöse Diversität direkt und unmißverständlich verurteilt. In der Diversität der Gegenstände und Erscheinun-gen sieht der Koran eine Bereicherung
„O ihr Menschen, fürwahr Wir haben euch aus Mann und Frau erschaffen und Wir machten euch zu Völkern und Stämmen, damit ihr einander kennenlernt. Wahrlich, der Ehrbarste bei Gott, ist der Frömmste von euch. Wahrlich, Gott ist allwissend, allkundig.”
„Und wenn dein Herr es gewollt hätte’, dann hätte Er die Mensch zu einer einzigen Gemeinschaft gemacht. Und sie hören nicht auf uneins zu sein, ausgenommen der, dem dein Herr sich erbarmt; Und dafür erschuf Er sie.…”
In der Gesellschaft beispielsweise erkennt der Koran die Di-versität der Ideen und Gaben an, weshalb er den Menschen in ihren, und wohlbemerkt, in ihren Angelegenheiten das Prinzip der Konsultation (Šūrā) vorschreibt:
„Und die, die dem Ruf ihres Herrn folgen und das Gebet verrichten und die ihre Angelegenheit in Konsultation un-tereinander (regeln) und von dem ausgeben, womit Wir sie versorgt haben.”
Konstruktive Diversität
Es gibt eine Art der Diversität, die produktiv sein kann, wenn mit ihr richtig umgegangen wird.
Einmal stand der Prophet in der Moschee von Khīf und sprach:
„Gott helfe einem Diener, der meine Worte hört, sie bewahrt und sie dem weitervermittelt, der sie nicht gehört hat. Denn so mancher trägt ein Wissen zu jemandem, der noch verständiger ist und so mancher trägt ein Wissen zu dem, der nicht begreift.”
Mit anderen Worten: Das Problem liegt nicht unbedingt in der Idee selbst, sondern in der Idee, die wir von der Idee gewonnen haben. In einem anderen Bericht lautet es:
„Ein „Hadīt den ihr begreift, ist besser als tausend, die ihr überliefert.”
Die Frage nach der Idee muß darum tiefgreifender gestellt werden.
Religiöse Diversität
Wir müssen die Diversität der Religion vor allem anhand der Verse des Korans erörtern, um zu sehen, inwieweit der Koran eine solche Diversität befürwortet oder nicht. Gott sagt:
„Der Glaube bei Gott ist der Islām . Und nicht wurden die-jenigen uneins, denen die Schrift gegeben ward, es sei denn nachdem das Wissen zu ihnen kam, in gegenseitiger Auf-lehnung. Und wer die Zeichen Gottes leugnet, so ist Gott wahrlich schnell im Rechnen. Und wenn sie mit dir streiten, so sprich: „Ich ergebe (aslamtu) mich Gott, und wer mir folgt.” Und sag zu denen, die die Schrift erhalten haben und zu den Mekkanern : „Seid ihr ergeben?” Und wenn sie sich ergeben , so sind sie geleitet. Und wenn sie sich aber abwenden, so hast du nur die Botschaft auszurichten. Und Gott durchschaut die Menschen.”
„Und seid nicht wie, die sich spalteten und uneins wurden, nachdem die Erklärungen zu ihnen kam. Jenen wird eine gewaltige Strafe.”
„Und nichts waren die Menschen, als eine einzige Gemeinde. Da wurden sie uneins. Und wäre nicht ein Wort von deinem Herrn vorausgegangen, zwischen ihnen wäre entschieden gewesen, indem, worin sie uneins wurden.”
„Darum wende dein Antlitz dem Glauben zu, in Lauterkeit. Das ist die Schöpfung, mit der Gott die Menschen ge-schaffen hat. Es gibt keinen Tausch für die Schöpfung Got-tes. Jenes ist der beständige Glaube, jedoch die Meisten der Menschen wissen es nicht. (Seid) Ihm zugewandte und hütet euch vor Ihm und verrichtet das Gebet und seid nicht von den Beigesellern, von denen, die ihren Glauben spalteten und zu Parteien wurden. Jede Partei erfreut sich dessen, was sie besitzt.”
Der Vers unterstreicht mehrere Punkte:
* Die lautere Religion ist die, die der Schöpfung Gottes entspricht.
* Für Gottes Gottes Schöpfung gibt es keine Alternative.
* Die Religion ist beständig.
* Der Mensch soll keine Spaltung in der Religion betreiben.
* Die Spaltung in der Religion hervorriefen, wurden zu selbstherrli-chen Parteien.
* Mehrheit ist kein Maßstab für Wahrheit.
* Damit wird deutlich, daß der Koran, und damit der Islām, keine Diversität der Religion beführwortet.
Es muß jedoch noch geklärt werden, was die lautere Religion, die im Vers erwähnt wird, ist. Gott sagt
„Die Religion bei Gott ist der Islām.”
Islām aber, ist keine leere Bezeichnung, sondern ein sinnvolles Wort. Das hier verwandte Wort ist ad-Dīn und ist äquivalent für Religion. Die Herkunft des lateinischen Wortes „religio” ist jedoch unklar.
„Wahrlich die Religion bei Gott ist die Hingabe (der Islam). Und nicht wurden diejenigen denen die Schrift gegeben ward uneins, es sei denn nachdem das Wissen zu ihnen kam, in unrechtem Handeln gegeneinander …”
Das bedeutet, daß die Religion bei Gott ist nur eine einzige Religion, ohne Unterschied ist. Diese Religion ist der Islām, die Ergebenheit in die Wahrheit , Ergebenheit in den seins- und gesetzgebenden Willen der absoluten Wahrheit.
Imām as-Sādik sagte:
„Wer vernünftig ist besitzt Religion (Dīn). Und wer Reli-gion besitzt, der geht ins Paradies.”
Einzigartigkeit religiösen Wissens
Die Religion weiß und beansprucht etwas zu wissen, was keine andere Wissenschaft weiß oder wissen kann; die Offenbarung Gottes an die Menschheit. Religion nämlich lehrt etwas, was sich völlig von den Inhalten anderer Wissenschaften differenziert. Religion unterrichtet uns über die Zusammenhänge der irdischen mit den himmlischen Ereignissen. Und nicht zuletzt daher rührt letztendlich auch ihr Wahrheitsanspruch.
Dieser Anspruch kann jedoch nicht immer auf die Gläubigen über-gehen. Und gerade hier liegt das Problem, weil viele Gläubige das für sich beanspruchen, was nur die Wahrheit für sich beanspruchen kann, an die sie glauben. Sie beanspruchen da quasi etwas für sich, über ihre Grenzen hinaus. Der Glaube nämlich an die absolute Wahrheit ist nicht dasselbe, wie einen absoluten Anspruch auf die Wahrheit zu erheben.
Eigentlich bedeutet ja, an die absolute Wahrheit zu glauben, gerade diese Ansprüche fallen zu lassen, da die eigene Erkenntnis von der Wahrheit niemals absolut sein kann.
Der Islām; die Hingabe
Bedauerlicherweise, wird der Islām, noch immer als eine exotische, fremdartige, ferne und orientalische Erscheinung behandelt. Dieses Mißverständnis wird dadurch unterstützt, daß die arabische Bezeichnnung Islām, niemals in übersetzter Form gehandedlt wird.
In Wirklichkeit aber, ist der Islām so fremd, wie das Christentum oder das Judentum, beziehungsweise, sind diesec beiden so orientalisch, wie der Islām.
Der Befehlshaber der Gläubigen (Amīr al-Mu’minīn), `Alī ibn Abī Tālib sagte:
„Ich werde den Islām ganz gewiß auf eine Art beschreiben, wie es kein anderer vor mir getan, und es kein anderer, nach mir tun wird: Islām ist Ergebenheit (Taslīm). Und Er-gebenheit ist Gewißheit (Yakīn). Und Gewißheit ist Beja-hung (Tasdīk). Und Bejahung ist Geständnis (Ikrār). Und Geständnis ist Erfüllung (Adā’). Und Erfüllung ist Tat (
قَالَ رَسُولُ اللَّهِ صلى اللّه عليه وآله وسلم: كُلُّ مَولُودٍ يُولَدَ عَلَى الْفِطْرَةِ، يَعْنِي عَلَى الْمَعْرِفَةِ بِأَنَّ اللَّهَ عَزَّ وَجَلَّ خَالِقُهُ، فَذَلِكَ قَوْلِهِ: وَ لَئِنْ سَأَلْتَهُمْ مَنْ خَلَقَ السَّماواتِ وَ الأَرْضَ لَيَقُولُنَّ اللَّهُ
„Der Gesandte Gottes sagte: „Jedes Neugeborene kommt mit der „Fixrah” zur Welt”, womit er meint: „mit der Erkenntnis, daß Gott, mächtig ist Er und erhaben, sein Schöpfer ist. Und das ist Sein Wort: „Und wenn du sie fragst, wer denn die Himmel und die Erde erschuf, dann werden sie gewiß sagen: „Gott”.” Und er sagte:… حَتَّى يَكُونُ أَبَوَاهُ يُهَوِّدَانِهِ وَيُنَصِّرَانِهِ.
„… bis es seine Eltern sind, die es zum Christen und zum Juden machen.” Vgl. Bihār al-Anwār: Bd. 3, S. 279. Wenngleich es sich um eine Tradition handelt, so ist ihr Inhalt doch „logisch begründet” und kann als rationales und wissenschaftliches Argument gelten. Fidtra leitet sich von Fadtara ab. فاطِرِ السَّماواتِ وَ الأَرْضِ „Schöpfer der Himmel und der Erde” Vgl. Kor: 6 (al-An<ām), 14; Allāh, d.h. der Gott; Vgl. Kor: 31 (Lukmān), 25; Vgl. Safīna al-Bihār: al-Fidtra. Vgl. Kor: 30 (ar-Rūm), 30-32. Vgl. Kor: 3 (ĀliRelated Titles
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